On Tour 14–IRL/Nordirland „Grenzenlos“

Ostküste
Ostküste

Man merkt es nicht, wenn man von Irland nach Großbritannien/Nordirland wechselt, kein Schild, geschweige denn ein irgendwie gearteter Hinweis oder gar eine „Grenzstation“. Der Übergang ist in der Tat „grenzenlos“.

Eine gewisse Grenznähe wird höchstens spürbar, dass Geschwindigkeitsbegrenzungen nunmehr in km/h und mp/h, Benzinpreise in und £ verzeichnet sind. Und die Bezeichnungen der Straßenkategorien haben gewechselt. Ansonsten aber alles wie gehabt.

Oder doch nicht ganz, denn man muss jetzt in £ bezahlen, was eigentlich nur eine Frage der rechtzeitigen Währungsbeschaffung darstellt. Grenzenlos kompliziert wird die Währungsfrage dann aber, wenn die in Nordirland nicht aufgebrauchten £-Scheine im sogenannten „mainland“, als auf Inselengland weiterverwendet werden wollen. Denn in  Nordirland gibt es vier verschiedene Banken mit Prägungshoheit – Bank of Scotland, Bank of Irleand, Ulster Bank, Bank of England. Also hat man meistens £-Scheine verschiedener Banken im Portemonnaie. Doch nur die mit dem Aufdruck „Bank of England“ werden dann im mainland akzeptiert. Oder man muss sie auf Postämter gegen erneute Tauschgebühr in die „wirklich englischen“ £-Scheinezurücktauschen. In einem zusammenwachsenden Europa mit einer großen €-Währungszone wirkt das Alles wie Gebaren ehemaliger Fürstentümer, in denen an jedem Stadttor eine andere Währung – und nur diese – galt.

Da bereitet das Sightseeing doch mehr Freude. Anlässe hierfür gibt es genug in Nordirland, angefangen bei der politisch-historischen Stadt Londonderry/Derry über die Hauptstadt Belfast bis hin zu den fantastischen Küstenformationen.

„The Bloody Sunday“ (30.01.1972) klebt wie Patina an der Stadtgeschichte von Londonderry und ihren Bewohnern. 13 Tote gab es zu beklagen, die Spannungen zwischen Protestanten und Katholiken steigerten sich ins Unermessliche. Der Ursprung dieser Spannungen geht zurück ins 17.Jahrhundert, aus heutiger Sicht sicherlich ein längst überholter, aber nie befriedeter Anlass (Stadtbelagerung durch Katholiken).

Ist es das Vorwissen um diesen Konflikt, welches das Gefühl einer unbeschwerter Besichtigung dieser Stadt mir ihrer vollständig erhaltenen und begehbaren Stadtmauer, mit der wunderschönen St. Columb’s Kathedrale, dem historischen Stadtzentrum, der Versöhnungsstatue bzw. der Peace Bridge nicht wirklich entstehen lässt? Vielleicht! Doch an allen Ecken wird man optisch auf diesen tiefgreifenden Konflikt gestoßen. An der Bishop’s Gate z.B. führt ein kleiner, schmaler Fußweg nur in ein von Protestanten bewohntes Stadtviertel, „versiegelt“ durch einen undurchdringlichen Sichtzaun. Zurück auf die eigentliche Straße kommt man nicht mehr. Viele Wandbilder mit Szenen des „Bloody Sunday“ zieren mannigfach die Hauswände. Und ob das weit sichtbare Wandbild mit der Aufschrift „You are now entering free Derry“ zur Versöhnung beiträgt, mag dahingestellt bleiben.

Giant's Causeway
Giant’s Causeway

Somit trieb es uns dann doch zum „freien Durchatmen“ relativ schnell zurück an die Küste. Und die hat es an purer Naturschönheit in sich. Der irische „Wild Atlanctic Way“ wurde abgelöst durch die „Causeway Coastal Road“ mit dem „Giant’s Causeway“ und der „Rope Bridge“ bei Ballintoy.

Rope Bridge
Rope Bridge

Geschätzte rund 40.000 meist sechseckige Basaltsäulen ragen beim Giant’s Causeway hinein ins Meer. Auf ihnen kann man herrlich herumklettern. Natürlich bleibt man dort nicht allein, besonders nicht an einem sonnigen Sommerwochenende. Aber die Menschenmassen verteilen sich auf dem ausgedehnten Wanderwegenetz (24km bis zur Rope Bridge). Es geht aber auch per Shuttlebus, um sich diese reizvolle Landschaft zu erobern.

„Giant’s Causeway“ bedeutet ja eigentlich „Damm eines Riesen“, womit wir wieder einmal bei einer tiefsitzenden lokalen Legende wären: Jedermann weiß, dass Riesen sich nicht gern nasse Füße einhandeln. Also baute Finn, der damalige Anführer des ehemaligen Fianna-Kriegerstammes (gab es wirklich! Finn wurde erst später als „Riese“ zur Legendenfigur) einen Steindamm hinüber nach Schottland, um seinen Erzfeind, den Riesen Benandonner zu besiegen. Denn nur so hätte er seine Geliebte ehelichen können. Und warum gibt es diesen Steindamm heute nicht mehr? Weil Benandonner ihn letztendlich aus Rache wieder zerstört hat.

Weniger legendenhaft erlebte die spanische Armada vor diesem Küstenstreifen Ende des 16.Jahrhunderts ihr Fiasko, nicht so sehr durch kriegerische Einwirkungen, denn durch witterungsbedingte. Jedenfalls sollen in den Stürmen rund 8.000 der insgesamt 22.000 Soldaten und Seeleute ums Leben gekommen sein.

Und überhaupt nicht legendhaft ist die Überquerung der bereits erwähnten „Rope Bridge“. Grenzenlose Schaukelfestigkeit und Schwindelfreiheit sind für ihr Betreten Grundvoraussetzung.

Und zum zweiten Frühstück – möglichst nach der Rope Bridge – gibt es eine Whisky-Probe in der Bushmills Destillery im Ort Bushmill, zumindest, wenn man die erste morgendliche Führung um 10.00Uhr bucht. Ist doch eine gute Einstimmung auf den vor einem liegenden Tag, oder nicht? In dieser Destille wird seit nunmehr gut 400 Jahren Whisky nach immer gleichem Grundrezept produziert. Da wird dann nach erfolgreicher Besichtigung und „Tasting“ die Panoramaküstenstraße noch enger, kurviger aber mit immerwährenden fantastischen Ausblicken nunmehr schon gen Osten hinüber nach Schottland.

Carrickfergus Castle
Carrickfergus Castle

Einen besonders hervorragenden Blick kann man sich gönnen vom Burgturm des majestätischen Carrickfergus Castles hinab und hinüber. Der „Wachturm“ Belfasts, einst monströse Normannenburg in Schlüsselposition an der Meereszufahrt nach Nordirlands Hauptstadt, gilt heute als Touristenmagnet, wohl auch wegen seiner ausgezeichneten Restaurierung.

Belfast unbeschwert
Belfast unbeschwert

Oh Gott, Belfast, Du Jahrhunderte lang vom Konfessionskonflikt geschundene Stadt! Gut, eine Rundtour rückt ihre Sehenswürdigkeiten ins rechte Licht, wie die alte, ehrwürdige Queen’s Universität, erzählt von den Docks, auf denen die Titanic gebaut wurde und schildert des Luxusliners schicksalhaftes Leben, führt vorbei an der St. Anne’s Cathedral, der gigantischen City Hall und dem Stormont (nordirisches Parlament). Letzteres ist in einem Tag-Wochenverhältnis genau 365 feet lang und zählt sieben Stockwerke.

Belfastkonflikt
Belfastkonflikt
Peace Grid
Peace Grid

Doch in dieser Stadt sind die „ewigen Spannungen“ spür- und sichtbar. Eine Mauer, höher als die ehemalige Berliner Mauer, und Stacheldraht bewehrt, die man fast liebevoll das „Peace Grid“ nennt, trennt Protestanten von Katholiken. Morgens werden einige eiserne Zauntore geöffnet, abends wieder verschlossen. Alles geschieht automatisch, buisiness as usual, Gefängnis robotisiert. Und trotz aller Friedensbemühungen, in die „No Go Areas“ sollten sich „Andersgläubige“ nicht wagen. Soweit geht die friedliche Stimmung während des offiziellen Waffenstillstandes noch nicht.

Ebenso wie in Londonderry veranschaulichen zahlreiche Wandbilder den Konflikt und seine Auswirkungen, natürlich je nach Religionszugehörigkeit parteiisch gestaltet. Wie man uns sagte, werden die „Murals“ (=Wandbilder) regelmäßig erneuert, gemäß der aktuellen Konfliktsituation. Und so verfolgt den Besucher auf Schritt und Tritt auch hier in dieser Stadt der religiös-politische Streit. Nach zwei Besuchstagen schnappten wir wiederum nach “freiem Durchatmen“.

Titanic Experience
Titanic Experience

Belfast ist die letzte Station auf der Tour durch die „Sinfonie in Grün“, Inselirland liegt nun hinter uns. Von den zahlreichen Küstenparkplätzen nördlich und südlich von Belfast (prima geeignet zum Overnight Parking) schweift der Blick bereits öfter hinüber nach Schottland. Zwei bis drei Fährstunden trennen uns nur noch von unserem nächsten großen Reiseabschnitt.