… oder Das Outback im Herzen
Der erste Begriff konzentriert sich sicherlich stärker auf die geographischen Gegebenheiten. Wir besuchen die Kleinstadt LONGREACH, welche rund 700km Luftlinie westlich der Ostküste auf dem Wendekreis des Steinbocks liegt. Also mitten im unwirtlichen Outback. Rund 3.000 Bewohner hat es hierher gezogen an einen Ort, der umgeben ist von nichts anderem als steiniger Plaine und verdorrtem Gras. Einige knorrig krüppelige Bäume und Büsche ducken sich im 35°C heißen Herbstwind. Unter einer dicken Staubschicht kann das Blattgrün nur erahnt werden. Wäre da nicht der nahe Thomson River, die Stadt wäre von gesicherter Wasserversorgung abgeschnitten. Egal in welcher Himmelsrichtung, der nächstliegende Ort, die dichteste Siedlung liegen mindestens 100km entfernt.
Das Outback im Herzen müssen die Stadt- und Umlandbewohner sicherlich haben. Eine besondere Outback Familie wollen wir herausgreifen und etwas näher beleuchten. Wir sprechen von den Kinnons und dem Unternehmen Kinnon & Co.
Das klingt erstes einmal recht ähnlich zu Cobb & Co.. Wir erinnern uns, das damalige legendäre Transportunternehmen hat in einer einmaligen Pionierleistung Queensland auf transportfähig getrimmt (vgl.K&K 46 „Von Sechs bis Sechs“). Gibt es Verbindungen zwischen Cobb und Kinnon? Nur insoweit, als einer der Kinnonvorfahren zeitweilig als Kutscher bei Cobb gearbeitet hat.
Viehzüchter seit mehreren Generationen haben die Kinnons sich nunmehr auf ein offensichtlich florierendes Tourismusgeschäft verlegt mit Hotel, Ferienhäusern und Outbackstore. Der stärkere Akzent liegt wohl aber auf den Tour- und Besichtigungsmöglichkeiten für den Besucher. Was uns allerdings bei unserer ersten Begegnung sofort auffällt, ist die entgegenkommende Freundlichkeit dem Besucher gegenüber. Sie hebt sich wohltuend von geschäftstüchtigem Entgegenkommen ab, wie wir es in dieser Branche des Öfteren erleben.
Outback pur und authentisch erleben, hat sich die fünfköpfige auf die Fahnen geschrieben. Hierfür gibt es einen bunten Strauß an Exkursionsmöglichkeiten, sowohl als Einzelveranstaltungen aber auch in gebündelter Form. Wir entscheiden uns für drei Exkursionen an drei verschiedenen, aufeinanderfolgenden Tagen.
Unser Start ins Outback-Erlebnis verläuft allerdings völlig anders. Wir genießen einen Intensivkurs von australischem Outback Humor. Harry Redford Old Time Tent Show kommt mittags zwischen 12 und 13 Uhr auf die Bühne, besser in die Innenhofarena. Kutschen, allerlei Gebrauchsgegenstände, Tiere und vor allen Dingen die beiden Söhne der Familie, geborene Komiker, erzählen die Geschichte des Betrügers und Viehdiebs Harry Redford, alias Captain Starlight. Wer bisher meinte, er könne mit seinem Englisch im Outback problemlos klarkommen, sollte einen weiteren Intensivkurs im australischen Outbackslang belegen. Eine Stunde köstliches Amusement!
Besinnlich romantisch wird es später dann gegen Abend bei Starlight’s Cruise Experience. Ein Bus bringt uns an eine Anlegestelle am Thomson River. Dort wartet bereits ein kleiner Raddampfer auf die Gäste. Gemütlich schippern wir eine Stunde lang auf dem gemächlichen Fluss dem Sonnenuntergang entgegen. Je tiefer die glutrote Sonne steht, umso stärker gewinnen wir das Gefühl, dass Bäume und Büsche brennen. Mit der einbrechenden Dunkelheit geht es zurück an die Anlegestelle. Die geringere Aussichtsmöglichkeit in der Finsternis wird versüßt mit kleinen, per Hand hergestellten Snacks (nibbles). Sozusagen als Vorspeise. Denn auf einer Ranch-Freiluftstation gibt es anschließen das traditionelle Stockman’s Campfire Dinner (stockman ist der australische Ausdruck für cowboy / stock=Vieh). Während wir das köstliche Beefstew mit Kartoffelbrei und Toast verzehren, erfahren wir, dass solch eine Mahlzeit typisch für das Cowboyleben ist. Denn unterwegs, im Freien, beim Viehtreiben sind große Geschirr- und Besteckansprüche einfach nicht umsetzbar. Eine Gabel und ein lackierter Zinnteller müssen genügen. Mehr erhalten wir auch nicht als Ausrüstung, außer dem Zinnbecher mit Henkel für den auf dem Lagerfeuer gekochten Kaffee. Als robuste Nachspeise wartet Apfelkuchen auf den Verzehr, gleiche Gabel, gleicher, aber neuer Teller.
Zur Auflockerung gibt Scotty, ebenfalls ausgerüstet mit komödiantischem Talent und stets barfuss, sogenannte Bush Poetry zum Besten. Das sind meist in Versform gekleidete Geschichten und Begebenheiten aus dem Outbackalltag. Dann wird es ernster mit Starlight’s Spectacular Sound & Light Picture Show. Auf einer überdimensionalen Freiluftbildleinwand erleben wir im Film die Aktivitäten dieses ehemaligen Viehdiebs und Betrügers. Heute ist er jedoch schon fast zum Helden avanciert, denn er hat auch Gutes getan. Der Abend endet jedoch nicht einfach mit Film, Licht und Lagerfeuer . Zum Abschluss wird hausgebackener Carrot Cake mit Sirup serviert. Wer soll dem noch widerstehen! Allmählich wandelt sich das Outbackleben in süßes Leben.
Am folgenden Morgen geht es sofort weiter mit den Outbackerfahrungen. In einer historischen Pferdekutsche, Cobb & Co lassen grüßen, schaukeln wir hoch oben auf den Außensitzen durch die wüstenähnliche Ebene. Unsere Strecke von rund 10km hat so manchen Hintern bereits zum Scherzen gebracht, so manches Herz fast stillstehen lassen, wenn die Kutsche mal wieder durch ein unvorhergesehenes Schlagloch rumpelt. Dabei erweist sich die Aussicht „von oben – nach hinten“ als hervorragender Blick auf den weit entfernten Horizont. Im wahrsten Sinne getrübt wird der Blick durch den aufgewirbelten Staub. Unweigerlich fängt es nach einer kurzen Weile an, zwischen den Zähnen zu knirschen. So ganz allmählich bekommt man eine blasse Ahnung davon, was es bedeutet haben mag, zu Zeiten von ausschließlichem Kutschentransport zu reisen. Denn was bedeuten schon unsere 10km im Vergleich zu den 80km durchschnittlicher Tagesleistung bei den damaligen Fernreisen. Durchgeschaukelt und heftig bestaubt klettern wir später dann via Hinterrad und Achse wieder hinab auf festen Boden. Ein authentisches Erlebnis. Zur Erholung dürfen wir uns dann im unternehmenseigenen Kino einen süßen und anrührenden Outbackabenteuerfilm anschauen, Huckleberry Finn auf australisch. Und zum Abschluss darf natürlich auch eine weitere Version Tent Show nicht fehlen.
Wie zu Anfang bereits erwähnt, hat die Kinnon Familie ihre Wurzeln in der Viehzucht. Dieser Zweig ist trotz Schwerpunktverlagerung nicht völlig abgestorben. Die Tochter Abigail bewirtschaftet zusammen mit ihrem Ehemann weit draußen in der Outbackebene die NoGo Farm. Diesem Anwesen gilt unser dritter Ausflug ins Outbackleben.
„No Go“, dort, wohin eigentlich niemand mehr kommen oder gehen möchte, verdient dieser Zweig der Kinnon Family seinen Lebensunterhalt, hauptsächlich mit Schafszucht. Da darf natürlich auch die Vorführung einer Schafscherung nicht fehlen. Wir erfahren, dass die hier Tagesleistung eines durchschnittlichen Schafscherers zwischen 150 und 300 Tieren liegt. Für solch eine Schwerstarbeit ist nicht jeder zu gebrauchen in dieser Gluthitze. Als guter Schafscherer zu gelten, bedeutet Auszeichnung und wird hoch anerkannt.
Die Ausmaße dieser Farm sind riesig. Wir fahren fast eine Stunde per Allrad- Bus herum, um vom Eingangstor zum Haupthaus zu gelangen. Unterwegs wird uns deutlich, wie kompliziert das Bewässerungssystem sein muss und ist, um überhaupt dort auf kleinen Flächen noch etwas wachsen zu lassen bzw. das Vieh zu tränken. Sichtbar aus dem Erdboden scheinen nur Steine und Felsen zu wachsen. Der kleinste Windhauch hüllt dich unweigerlich in Staub ein.
Wie fast alle Häuser steht auch dieses Farmhaus auf Stelzen. Dabei handelt es sich um den typischen Queensland Farmhouse Stil. Die Stelzen dienen weniger dem Schutz gegen Hochwasser, welches allerdings auch von Saison zu Saison bedrohlich ganze Landstriche überflutet. Der Luftraum zwischen Erdboden und Hauserdgeschoss wirkt vielmehr wie eine Klimaanlage. Da der Boden sich durch den Dauersonnenschein unweigerlich stark aufheizt, würden Häuser nie richtig abkühlen können. Der ständige Outbackwind weht so unter den Häusern hindurch mit kühlender Wirkung. Sicherlich hält sich die Kühlung tagsüber in Grenzen. doch nachts kann dieses System seine Wirkung vollständig entfalten.
Es wäre verwunderlich, wenn nicht! Doch Captain Starlight taucht erneut auf. Dieses Mal geht es um seine damaligen Ställe, in die er das gestohlene Vieh gepfercht hatte. Sie stehen heute immer noch auf diesem Boden (und werden in Ehren gehalten).
Wie bereits die Abendcruise endet auch diese Tour kulinarisch. Einheimische kennen natürlich den Begriff Smoko. Wir lassen ihn uns erläutern. Ausgeschrieben bedeutet er: Have a Break for Smoking , zu Deutsch: Raucherpause. Diese Pausen strukturieren den Arbeitsalltag der stockmen. Mit Rauchen haben sie allerdings so gut wie nichts mehr zu tun. Sie mutierten zu Imbisspausen. Auf der großräumigen Veranda des Farmhauses wird bei unserem Besuch kräftig serviert, insbesondere Sandwiches, verschiedene Sorten hausgebackener Kuchen und Kekse, incl. Kaffee, Tee und Kaltgetränke. Hausgebacken garantiert, denn Abigail, Farmersfrau und Kinnon-Tochter hat ein eigenes Smoko-Rezeptbuch herausgegeben.
Bewundernswert die Kinnon Family, dieser Familienbetrieb im tiefsten Outback. Aus vollem Herzen unterstreicht das Familienoberhaupt Richard noch einmal sein Outbackmotto: „Wir tragen das Outback in unseren Herzen. Unseren Gästen möchten wir ein kleines Stück abgeben von dem Outback, welches wir lieben“. Es ist gelungen.